Mary Bauermeister: Ich hänge im Triolengitter

Über Karlheinz Stockhausen und sein Schaffen wusste ich bislang wenig. „Ich hänge im Triolengitter – Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen“ von Mary Bauermeister  hat mich erstmals mit der Welt der Avantgarde in Berührung gebracht. Die Ex-Frau des Visionärs schildert in ihrem autobiografischen Roman die gemeinsamen Jahre mit Stockhausen. Sie nimmt den Leser in die aufregende und durch Aufbruch bestimmte Welt der 60er Jahre mit und beschreibt neben ihrer Liebe zu dem Genie auch eindrucksvoll die Begegnung mit anderen wegweisenden Künstlern des Jahrzehnts.

Mary Bauermeister war Stockhausen Geliebte, Muse, Zweitfrau, Ehefrau und Weggefährtin. Sie lebte zeitweise im katholischen und konservativen Köln in einer offenen Dreierbeziehung und musste immer andere Frauen an seiner Seite dulden. Doch daneben war sie schon in ihren frühen Jahren eine geachtete Künstlerin. In ihrem Atelier in der Kölner Lintgasse trafen sich die Künstler der Prä-Fluxus-Bewegung. Als Bauermeister später zu Stockhausens zweiter Ehefrau wurde, begleitete sie ihn auf vielen Reisen und lernte dabei zahlreiche Künstler wie Picasso, John Cage, Max Ernst und Leonard Bernstein kennen.

Unverständnis für die gnadenlose Liebe und damit zwangsläufig verbundene Selbsterniedrigung kommt beim Lesen der persönlichen Geschichte von Mary Bauermeister immer wieder hoch. Doch wer Mary Bauermeister dafür straft, dass sie ihre Erlebnisse in der ihr eigenen, vielleicht aufgrund des Alters leicht abgemilderten, Wahrnehmung der Dinge schildert, hat Unrecht. Es mag von ihr beispielsweise völlig selbstlos gewesen sein, Stockhausens Wunsch nach einer Abtreibung widerstandslos nachzukommen, ihre Beziehung vollständig der Musik unterzuordnen oder die Kosten für den alltäglichen Haushalt mit Stockhausen selbst finanziert zu haben. Doch als Gegenstand des Romans sind diese ehrlichen Passagen sehr interessant zu lesen. Die Stimmung im Roman pendelt zwischen Tragik, Leidenschaft, Versöhnung, Schmerz, Liebe und Glück. Mary Bauermeister fängt die Atmosphäre der verschiedenen Zeiten ein und verleiht ihrer Erzählung allein durch die Schilderung der Erlebnisse Gewicht.

Fazit: „Ich hänge im Triolengitter – Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen“ beantwortet sicher nicht alle offenen Fragen zu dem Leben und Schaffen von Karlheinz Stockhausen. Warum Stockhausens Kinder später mit ihrem Vater gebrochen haben, wie Bauermeister zu Stockhausens Äußerungen zum 11. September stand und wie ihre gemeinsame Verbundenheit über die Trennung hinweg aussah, diese Fragen lässt Mary Bauermeister offen. Doch die Faszination, die von diesem Roman ausgeht, schmälert das nicht. Denn Mary Bauermeister erzählt ergreifend die Geschichte ihrer großen Liebe und der damit verbundenen künstlerischen Begegnungen. Auch wer bislang nicht mit Stockhausen, Avantgarde und bildener Kunst in Kontakt kam, wird diese Geschichte einer starken Frau definitiv mögen!


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